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Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen: BGH präzisiert Anforderungen an bindende Pa­tien­ten­ver­fü­gung

Markus Vogelsberger • 4. April 2017
Patientenverfügung für Abbruch lebenserhaltender Maßnehmen

Der Bundesgerichtshof hat nun­mehr die Voraussetzungen präzisiert, die eine bindende Patientenverfügung in Bezug auf einen Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen erfüllen muss. Danach könne sich die erforderliche Konkretisierung der Behandlungsentscheidung im Einzelfall auch bei einer weniger detaillierten Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen ergeben, wenn auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen Bezug genommen wird. Ob in solchen Fällen eine hinreichend konkrete Patientenverfügung vorliege, sei durch Auslegung der in der Patientenverfügung enthaltenen Erklärungen zu er­mit­teln.

Ei­ne Wachkoma-Patientin hat­te 10 Jah­re zu­vor in ih­rer Patientenverfügung u.a. fol­gen­de Bedingungen für ei­nen Abbruch lebenserhaltender Maß­nah­men for­mu­liert: hier­nach soll­ten, "wenn keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins bestehe oder aufgrund von Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zu­rück­blei­be lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben".

Sie er­li­tt dann einen Schlaganfall und be­fand sich seit einem hypoxisch bedingten Herz-Kreislaufstillstand in einem wachkomatösen Zustand. Sie wurde seitdem über eine Magensonde künstlich ernährt und mit Flüssigkeit versorgt. Bereits vor dem Schlag­an­fall hatte sie mehrfach gegenüber verschiedenen Familienangehörigen und Bekannten angesichts zweier Wachkoma-Patienten aus ihrem persönlichen Umfeld geäußert, sie wolle nicht künstlich ernährt werden, sie wolle nicht so am Leben erhalten werden, sie wolle nicht so daliegen, lieber sterbe sie. Sie habe aber durch eine Patientenverfügung vorgesorgt, das könne ihr nicht passieren. In der Zeit zwischen dem Schlaganfall und dem späteren Herz-Kreislaufstillstand er­hielt sie einmalig die Möglichkeit, trotz Trachealkanüle zu sprechen. Bei dieser Gelegenheit sagte sie ihrer Therapeutin: "Ich möchte sterben." Von den vor­ins­tanz­li­chen Ge­rich­ten wa­r die von dem Sohn der Pa­ti­en­tin -als de­ren ge­richt­lich be­stell­ter Be­treu­er- ge­gen den Wi­llen de­ren Ehe­man­nes- un­ter Hin­weis auf die vor­lie­gen­de Pa­tien­ten­ver­fü­gung beim Be­treu­ungs­ge­richt be­an­trag­te Ge­neh­mi­gung des Abbruchs lebenserhaltender Maßnahmen ab­ge­lehnt wor­den.

Der BGH hat vor­ge­richt­li­che Ent­schei­dung auf­ge­ho­ben und vor­ge­ge­ben, wel­che kon­kre­ten Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne bin­den­de Pa­tien­ten­ver­fü­gung vor­lie­gen müs­sen. Hier­nach ent­fal­te eine schriftliche Patientenverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 1 BGB nur dann unmittelbare Bindungswirkung, wenn ihr konkrete Entscheidungen des Betroffenen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte, bei Abfassung der Patientenverfügung noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen entnommen werden können. Dabei dürften die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Patientenverfügung aber auch nicht überspannt werden. Vorausgesetzt werden könne nur, dass der Betroffene umschreibend festlegt, was er in einer bestimmten Lebens- und Behandlungssituation will und was nicht. Al­lein die Äu­ße­rung "keine lebenserhaltenden Maßnahmen" zu wünschen, rei­che hier­für nicht aus. Viel­mehr müs­se in der Pa­tien­ten­ver­fü­gung durch Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen oder durch Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen konkretisiert wer­den, was dann er­fol­gen sol­l.

RA Martin Vogelsberger, Fachanwalt für Erb- und Familienrecht“

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